Distanz und Nähe oder
»Wünsche Begegnung an Steuerbordseite«
Von verschiedenen Standorten in den Ausstellungsräumen öffnet sich der Blick auf eine in höchstem Maße faszinierende Dachlandschaft: Kräne, T-Träger, Kamine und Giebel und der meist ein wenig trübe Himmel über London gehören einer Welt an, die fern der lichten Räume der Galerie existiert. Magisch angezogen von diesem Ort, entschied Werner Haypeter dort einen künstlerischen Eingriff vorzunehmen. Als Bezugspunkt und zugleich idealer Ort für die Montage bot sich die Reihe torbogenartig verlaufender Stahlträger an. Verzinkter Stahl bildet den 109,5 x 109,5 cm großen Rahmen jedes der fünf realisierten Elemente. "Bilder" füllen diese Rahmen, entstanden durch Überlagerung dreier Schichten bemalten und von Löchern durchbrochenen Acrylglases: In die beiden äußeren Platten hat Werner Haypeter beispielsweise 18 x 18 Löcher mit einem Durchmesser von jeweils 20 mm gebohrt. Gleichmäßig über die Fläche verteilt, lassen sie diese wie ein industriell hergestelltes Lochblech erscheinen. In den selben Rahmen ist zwischen diese beiden eine weitere Platte mit einem großen, mittig orientierten Loch eingefügt, eine Öffnung, deren Größe der Summe der Flächen der kleinen Löcher exakt entspricht. Nach einem von Werner Haypeter entwickelten System verringert sich in den anderen Elementen jeweils die Anzahl der Löcher, womit sich zum einen ihre Dichte innerhalb der Fläche lockert, zum anderen aber – der dem Werk immanenten Logik gehorchend – das Loch in der mittleren Platte jeweils deutlich kleiner wird. Zuletzt korrespondieren fünf kleine Löcher, über die Fläche verteilt wie auf einem Würfel, in den Außenplatten mit einer kleinen zentralen Bohrung. Das Acrylglas selbst ist nicht transparent, sondern wurde beidseitig angeschliffen und mit zartgrüner Leuchtfarbe (Hatotex) bestrichen. Keine industrielle Durchfärbung also, sondern eine Fläche von gebrochener, eigentümlich undefinierbarer Farbigkeit, in der die Spuren des Pinsels – zumindest in der Nähe – deutlich erkennbar sind. Jedes einzelne dieser Elemente funktioniert wie ein Bild, ein ihnen allen eingeschriebenes System bestimmt ihre Erscheinung und verbindet sie. Da diese Bilder, sind sie einmal installiert, nur aus der Distanz gesehen werden können, rückte die Frage nach ihrer Größe ins Zentrum der Überlegungen. Der Erfolg des Unternehmens schien von dieser Antwort abzuhängen. Werner Haypeter suchte sie, wie so oft, nicht im künstlerischen Umfeld, sondern bei den mit solchen Fragestellungen vertrauten Fachleuten. Er fand sie im Bereich der Binnenschiffahrt: Jedes Schiff nämlich ist mit Blinklampen und Signalschildern ausgestattet. Solche Signale müssen von Ferne sichtbar und zugleich so klein wie möglich sein, damit sie die Abläufe an Bord nicht behindern. So kam es, daß der „Signalflaggenrahmen BO/L3“ mit einer Signalfläche von 100 x 100 cm das Maß für die künstlerische Arbeit vorgab, die schließlich unter vergleichbaren Bedingungen die künstlerische Arbeit vorgab, die schließlich unter vergleichbaren Bedingungen funktionieren muß. Ihre Botschaft in der Schiffahrt lautet: "Wünsche Begegnung an Steuerbordseite". Eine Begegnung, bei der sich zu große Nähe selbstverständlich verbietet.
Aus der gegebenen Distanz kaum wahrzunehmende Erscheinungen, die Verteilung der Löcher in der Fläche, die Schichtung der Gläser sowie die matte Farbigkeit prägen diese Bilder. Sie werden bei abnehmendem Tageslicht eine Weile leuchten, um dann im Nachthimmel zu verschwinden. Wie so oft im Werk Werner Haypeters sind auch hier technische Perfektion und künstlerische Handschrift gleichwertige Partner: Die Konstruktion dieser Bilder ist nach den Regeln der Technik und mit deren Hilfe optimal auf die Installationsbedingungen zugeschnitten. Die Bohrungen der Löcher mit ihren Abweichungen von den "idealen" Linienverläufen und die Bemalung der Flächen aber sind bewußt vom Künstler selbst ausgeführt, lassen seine Handschrift erkennen. Solche Aspekte werden auf die Distanz kaum wahrnehmbar sein, was ihre Bedeutung für Werner Haypeter keineswegs schmälert. Von den zahlreichen Variationen, die das den Werken eingeschriebene System erlaubt, wurden nur fünf realisiert. Gemeinsam sind sie, als Konstante begriffen, wiederum die Basis für weitere Variationen: an einem anderen Ort, in einer anderen Konstellation, alleine oder in einer Gruppierung. Ein offenes System, dessen Möglichkeiten von jedem Betrachter in einem Prozeß kreativen Begreifens nachvollzogen werden kann.
[Textauszug: Maria Müller: Distance and Proximity or ´Asking for an encounter on Starboard side´ in: Colour in Light. Ausst.-Kat., Annely Juda Fine Art, London, 2003]