Dieser Methode von Ordnung und Offenheit, von sensiblem Ortsbezug und Selbstbezug, von Körperlichkeit und Flächigkeit folgt auch sein Vorschlag für die Wohnanlage an den Prager Höfen in Bonn. Dabei geht der Künstler explizit von den quadratischen Grundmodulen aus, aus denen die Wohneinheiten gebildet sind. Innerhalb des wiederum quadratischen Gesamt-Grundrisses befinden sich um einen quadratischen erhöhten und jeweils von vier Seiten zugänglichen Innenhof vier quadratische Wohntürme, die, jeweils mit separatem Zugang versehen, eigenständige kleine Häuser für einen Ein- bis Zwei-Personen-Haushalt darstellen und doch über den gemeinsamen Innenhof und einen großen gemeinsamen Keller-Hobbyraum auch miteinander verbunden sind. Aus diesen fünf quadratischen Grundmodulen (vier Wohneinheiten plus Innenhof) entwickelt Haypeter zwanzig Bildkörper, die als jeweils fünfteilige Bildsäule an den Treppenhauswänden zwischen Dachgeschoß und Keller verteilt werden. Jeder dieser Bildblöcke ist mit Acryl und Leuchtfarbe bestrichen, die jeweilige Sichtfläche ist epoxydharzummantelt. Die wesentliche Qualität dieses Eingriffs besteht in seiner Fähigkeit, orts-sensibel zu reagieren und zugleich seine Autonomie zu bewahren. Die Anzahl der Elemente pro Haus aktiviert prinzipielle Leitlinien der umgebenden Architektur: Denn die fünf Elemente reflektieren ihrerseits wieder auf die fünf quadratischen Module, aus denen jede der vier Häuser umfassenden Wohnanlagen gebildet ist. Die Verteilung der Elemente im Treppenhaus nimmt die vertikale Erschließung der Wohneinheiten auf, die im wesentlichen aus drei aufeinandergeschichteten Raumwürfeln mit jeweils einem Raum bestehen. Und schließlich schafft Haypeter durch die Kombination von formal gleichen, aber farblich leicht unterschiedlichen Bildkörpern einen subtilen Bezug zwischen den getrennten und doch zusammengehörenden Wohntürmen, deren Bewohner möglicherweise anfangen zu rätseln, welche Bildfolge wohl das Treppenhaus des Nachbarn schmücken mag. Auf der anderen Seite bilden die fünf Elemente, die nicht in einer mathematischen, sondern einer unregelmäßigen, auf die spezifischen Anforderungen der Architektur reagierenden Ordnung die Wand zwischen Keller und Dachgeschoß verspannen, auch ihren ganz eigenen Kosmos. Vibrierend zwischen Fläche und Körper, zwischen Extroversion und Introversion, zwischen Ausdruck und Eindruck, zwischen Teil und Ganzem, verdeutlichen sie auf das Schönste, welche Stelle im Reich der autonom-konkreten Bildfindungen Werner Haypeter besetzt: Weder die des rigorosen Puristen noch die des romantischen Unendlichkeitsschwärmers, sondern die des poetischen Systematikers, der seine Ordnung dadurch begründet, daß er sie partiell auch wieder aufhebt.
[Text: Stephan Berg: Ordnung und Offenheit in: »RÄUMEN. UWE SCHRÖDER WERNER HAYPETER LUTZ FRITSCH«. Hg. von Gisela Clement. 2010 Weidle Verlag, S.39-40]